(Deutsch) Mütterausbildung in Mingun: Die zweite Woche. Christine Kießling berichtet

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Im Gardencafe sitzend und strickend

Liebe Bekannte und Freunde,
eine ereignisreiche Woche liegt hinter mir.

Vollmondfest

Mittwoch und Donnerstag feierten die Burmesen das November-Vollmondfest. Es gab zwei Tage frei im Kindergarten und in der Schule. Die Hauptstraße war voll von Fußgängern, Motorrädern und Autos. Der Zugang zur großen, weißen Pagode war überschwemmt von Menschen. Diese Pagode ist eine wichtige buddhistische Pilgerstätte. Ganzjährig wird sie von Gläubigen besucht, besonders aber zu religiösen Festen. Sie ist in jedem Reiseführer zu finden und somit auch für Touristen ein wichtiges Ziel in Mingun. Dieses Bauwerk ist gekennzeichnet durch eine reichhaltige Symbolik aus dem buddhistischen Glaubenskanon. Ich besuche sie gerne, eigentlich immer am Sonntag. Zum Fest gehört nicht nur ein religiöses Ritual, sondern auch ein weltliches Festival mit Musik, einem Markttreiben und speziellen Speisen. Bei meinem letzten November-Vollmondfest besuchte ich in Begleitung meiner Schülerinnen zehn Familien und mehr, die alle die traditionellen Süßigkeiten, die für das Fest typisch sind, auftischten. Besonders unterhaltsam sind an diesem Fest die abendlichen Vergnügungen. Es werden Späße getrieben wie bei uns in Bayern in der Freinacht, der Nacht vor dem 1. Mai. Die Straßen werden mit Tischen blockiert, herumstehende Gegenstände vertauscht oder versteckt. Besonders das Federvieh ist gefährdet. So mancher Hahn ist schon in der Pfanne einer cleveren Jugendgruppe gelandet. Kyaw Kyaw hatte ein waches Auge auf seine Lieblinge. Bei uns im Kindergartengelände gab es für Groß und Klein ein Spiel, das man bei uns unter dem Begriff “Topfschlagen” kennt. Hatte die Person mit verbundenen Augen den umgedrehten Papierkorb mit ihrem Stock getroffen, johlten die gebannten Zuschauer. Als Siegprämie erhielt der Spieler einen kleinen Geldbetrag vom anwesenden Mönch. Ich habe mein Glück zweimal versucht auf der zehn Meter langen Strecke, doch ohne Erfolg. In dieser Nacht darf man sich auch draußen rumtreiben, was sonst nicht gern gesehen wird. Es werden nämlich überall kleine Zettel versteckt, auf denen der Absender und die Summe steht, die man erhält, wenn man den Zettel findet. Viele Dorfbewohner beteiligen sich an dieser Belustigung, auch die Mönche. Man will zum einen beim Verstecken nicht gesehen werden und zum anderen einen Zettel finden. Es ist witzig, wenn die Leute lachend auf einen zustürmen und mit dem gefundenen Zettel das Geld einfordern.

Meine Geburtstagstorte

Geburtstagsfest

Es traf sich gut, dass ich an diesem Feiertag Geburtstag hatte. Am Vortag habe ich angekündigt, dass wir eine verkürzte Lesson machen und ich beim Teashop-Catering Kaffee und Kuchen bestelle und die Gruppe dazu einlade. Sie haben dann den Grund herausbekommen und für nette Überraschungen gesorgt. Es gab ein tolle Hühnersuppe, gleich einen Kübel voll, für weitere Gäste. Außerdem hatten sie eine Torte bestellt. Ich denke, eine hochinteressierte Teilnehmerin, die Frau eines Holzhändlers, hat gesponsert. Unter dem internationalen “Happy Birthday” mußte ich die Kerzen ausblasen, den Kuchen anschneiden und verteilen. Sie haben sich selber gefreut über meine Freude. Wie ich gehört haben, sind Bilder von der kleinen Party bereits auf Facebook gelandet.

Beispiel für gesunde Lebensmittel: brauner Reis und Brokkoli, in Bananenblätter verpackt

Mütterschulung

Die Mütterschulung läuft wunderbar. Heute haben wir das Thema Gesundheit abgeschlossen. Die Themen gesunde Ernährung und sauberes Wasser, Körperhygiene und Schlaf, ebenso erste Hilfe beim Kind standen auf dem Programm. Einen weiteren wichtigen Punkt habe ich mit den Teilnehmerinnen zusammen erarbeitet: ihre traditionelle Medizin. Sie haben Lebensmittel, Kräuter und Tinkturen von zuhause mitgebracht und jede Teilnehmerin hat ihre Medizin vorgestellt. Mir ist es wichtig, dass sie sich dieses Erbes bewußt werden, auch wenn sich alles der Moderne zuwendet. Zudem soll dieses Wissen über die Heilmethoden aus der Natur weitergegeben werden, besonders in einem Land, in dem nicht an jeder Ecke ein Arzt zu finden ist und nicht jeder über große Geldmittel verfügt. Ich habe ihr Wissen ergänzt mit der wirksamen Maßnahme “Wadenwickel”, die in meiner Kindheit bei Fieber zur Anwendung kam. Nach Abschluß dieses Kapitels habe ich die Teilnehmerinnen der Schulung um eine Rückmeldung bezüglich des Lehrstoffs gebeten. Sie meinten, dass ihnen vieles aus meiner Zusammenfassung bekannt, doch vieles auch neu und interessant war.

Der Kindergarten könnte besser laufen …

Weniger Angenehmes ist vom Kindergarten zu berichten. Er schwächelt vor sich hin. Es wird zwar nach einem Wochenplan gearbeitet und der Tag ist strukturiert. Das Angebot ist aber für die Kinder wenig abwechslungsreich. Diese Entwicklung war zu befürchten, als vor zwei Jahren die engagierteste Erzieherin gegangen ist. Sie war ehrgeizig und hat sich erfolgreich als Grundschullehrerin beworben, weil sie auch mit der Bezahlung im Kindergarten nicht zufrieden war. Die jetzt dienstälteste Erzieherin ist eine warmherzige Person und bei den Eltern anerkannt, da sie seit der Gründung des Kindergartens 2010 hier arbeitet. Doch sie ist keine Führungspersönlichkeit und hat auch persönliche Probleme. Sie muß als Alleinverdienerin für ihre Mutter und ihren behinderten Bruder sorgen. Durch einen Krankenhausaufenthalt des Bruders nach einem Unfall sind große Schulden aufgelaufen. Durch Wucherzinsen von 15 bis 30 % kommen die Leute hier schnell an den Bettelstab. Die Familie hat sich entschlossen, ihren Grund mit der Bambushütte zu verkaufen. Mit diesen Existenzängsten im Kopf kann sie sich natürlich nicht mit vollem Engagement ihrer Arbeit widmen. Der Rest der Mannschaft ist im Sog dieser Stimmung. Wir werden zusammen überlegen, was zu tun ist.

Das Leben in der neuen Grundschule

Wie versprochen, will ich nun meine Beobachtungen aus der neuerbauten Grundschule mitteilen. Bei meinem letzten Einsatz vor eineinhalb Jahren erlebte ich die Grundsteinlegung und die Erstellung des Rohbaus. Nun sehe ich sie fertig und von Kindern bevölkert.
Die Schule hat drei Klassenzimmer und ein Lehrerzimmer. Dieses Lehrerzimmer soll dank eines großzügigen Spenders aus meiner Heimatstadt die Möblierung erhalten. Der Auftrag ist dem Schreiner aus dem Dorf bereits erteilt. Er hat zum Kauf des Teakholzstamms einen Vorschuß erhalten.
Es gibt eine Vorschulklasse mit 15 Kindern, in der die 5- Jährigen erste Kenntnisse in der Schrift und in Mathe erhalten. In der ersten Klasse sind 19 Schülerinnen und Schüler, die zweite Klasse besuchen 4 Kinder. Es ist eine Klosterschule, d. h. die Dienstaufsicht hat der Abt des gegenüberliegenden Klosters. In der ersten Klasse gibt es ein Geschwisterpaar, einen kleinen Novizen und eine Nonne. Vier aus dem Dorf stammende Lehrerinnen wechseln sich in der Betreuung der Klassen ab. Der Unterricht findet statt in der Zeit von 9 bis 11 und von 13 bis 14.30. Oftmals höre ich die Kinder laut das rufen, was die Lehrerin vorgibt. Bei genauer Betrachtung sehe ich, dass die Kinder mit vor der Brust verschränkten Armen auf den Bänken stehen, die Lehrerin zeigt mit einem Stock auf den Tafelanschrieb. Es gilt der Grundstatz: wer laut schreit, hat recht. Diese Methode des Vorsprechens und Nachsprechens hat lange Tradition im Land. Ich konnte bei einer Beerdigung beobachten, dass der vorbetende Mönch Sätze vorträgt und die Trauergemeinde diese Gebetsteile in langandauernder Folge genau so wiederholt. Die Lehrerinnen haben diese Methode auch deshalb verinnerlicht, da sie sie ja in ihrer eigenen Schulzeit nicht anders erlebt haben. In der Schule gibt es Arbeitshefte, die ebenso wie die Schuluniform, vom Staat bezahlt werden. Wärend die Schülerinnen und Schüler in den Heften arbeiten, sitzt die Lehrerin am Pult. Ihr Dienstauffassung erlaubt es ihr, sich mit dem Smartphone zu beschäftigen. Insgesamt hat das Lehrpersonal eine hierarchische Auffassung von der Lehrer-Schüler-Beziehung. Ich will nicht sagen, dass sie ihre Schüler nicht mögen, doch habe ich nie beobachtet, dass sie durch die Reihen gehen, sich einem Kind im Gespräch zuwenden oder bei einer Aufgabe Hilfestellung geben oder Lob verteilen. Die Kinder gehen zum Pult und zeigen ihr Heft. Es wird schon mal ein Kind in den Teashop geschickt, um Kaffee zu holen. An dieser Grundhaltung muss meiner Meinung nach bei einer zukünftigen Ausbildung als Erstes angesetzt werden. Der Sportunterricht findet im Pausenhof, den sich die Schulkinder mit den Kindergartenkindern teilen, statt. Es ist eine recht statischen Angelegenheit. Die Klasse steht vor der Lehrerin. Diese bewegt, indem sie von eins für zehn zählt, einzelne Gliedmaßen, später den Kopf und den Rumpf. Es wirkt ein bißchen wie auf dem Kasernenhof. Ich werde sie auf die vielfältigen Turnstunden, die ich mit den Erzieherinnen entwickelt habe, hinweisen.
Am Samstag- und Sonntagvormittag mache ich mit den Lehrerinnen immer ein Meeting. Für das Fach Mathematik haben sie von meiner Freundin, die dreißig Jahre Grundschullehrerin in der Eingangsstufe war, Unterrichtsmaterialien geschickt bekommen. Diese Materialien mit den dazugehörigen Lernmittel erkläre ich den hochinteressierten Junglehrerinnen. Sie haben ja nur ein 15tägiges Training als Vorbereitung für ihre Lehrtätigkeit erhalten.

Der Kindergarten säubert am Freitag beim “cleaning day” den Hof, anschließend werden den Kindern als Gesundheitsvorsorge die Nägel gekürzt

Englisch für den Barista ..

Nun, ich habe mich in meinem Alltag eingerichtet und wieder Gewohnheiten entwickelt. Der Tag ist strukturiert und bietet wenig Freizeit. Doch Unterricht vorbereiten wie in früheren Zeiten macht ja Spaß! Neuerdings empfange ich anschließend an die Schulung von sechs bis sieben Uhr noch einen jungen Mann, der im Gardencafe als “Barista” arbeitet. Er bedient dort die raffinierten europäischen Kaffeemaschinen und zaubert auf jeden Cappucino hochprofessionell eine Blume oder andere Dekorationen. In einem dreitägigen Kurs in Rangun hat er seine Fachkenntnisse erworben. Er hat mich gebeten, mit ihm “English conversation” zu üben. Er kommt zuverlässig nach Dienstschluß mit dem Fahrrad her, steht strahlend vor der Tür und schreibt fleißig in sein Notizbuch.
Nun habt Ihr wieder einen Eindruck gewonnen, wie sich das Leben hier so abspielt. Wenn Ihr weiterführende Fragen habt, so stellt sie ungeniert. Ich freue mich über jede Post.
Seid nun wieder gegrüßt aus dem kleinen Mingun am großen Irrawady, Christine

26. November 2018 Christine Kießling
Alle Fotorechte Christine Kießling, Förderverein Myanmar e.V.

Der Dorfschreiner bei der Arbeit

 

Kindergarten Mingun